In der Arktis freuen sich umtriebige Touristiker und Regionalvermarkter über den Klimawandel. Durch die extreme Eisschmelze werden Bauprojekte möglich, die ansonsten undenkbar gewesen wären. Kreuzfahrten gelingt es, bislang unzugängliche Regionen anzufahren. Neue Flughäfen sind in Planung, um möglichst vielen Menschen den Traum vom Urlaub im ewigen ..., nicht mehr lange vorhandenen Eis zu ermöglichen. Hier ein begeisterter Artikel von aerointernational.de dazu.
Nur ein Beispiel für die weit verbreitete Überflusskultur, die uns stets weiter über den Rand der vorhandenen Klima- und Biodiversitätszerstörung führt. Eine Umkehr ist nicht in Sicht. Überfordereung, Überfluss und Verschwendung (siehe z. B. Jeremy Rifkin oder Maia Göpel), verursacht durch die fortschreitende Entfremdung von ursprünglich angebotenen Umfeldern (Separation von unserer Mitwelt nach Charles Eisenstein), sind meiner Einschätzung nach die Hauptfaktoren unserer menschengemachten Zerstörungswelle.
Auf die offensichtliche, humanplanetarische Talfahrt reagieren Menschen vielfältig und vor allem polarisierend. Die Panik dahinter, ich kann sie enorm ansteigend erkennen und -verständnisvoll - anerkennen. Mir - wie sicherlich vielen anderen auch - kommt es dabei vor, zwischen den Stühlen zu sitzen.
Zwischen denen, die vor Arbeit und Tasks gar nicht mitbekommen wollen, was gerade vor sich geht und lieber den nächsten Dubai-Urlaub oder gar den Umzug auf die Kanaren planen und jenen, die jedwedem Konsum, ausgenommen höchstens Pilze und Mate, den Kampf angesagt haben.
Ich esse wesentlich mehr Fleisch, als ich mit meinem Gewissen vereinbaren kann, außerdem trinke ich definitiv zu viel Alkohol, was wiederum auch meinem veganen Konto ein paar Prozente verschafft. Außerdem bewege ich drei, äh, vier Fahrzeuge mit Verbrennermotor (aber nicht gleichzeitig) und habe mir zum Abendessen gerade Sushi in Plastikverpackung von meiner Frau mitbringen lassen, was mich zugegebenermaßen mehrfach angeekelt hat.
Macht mich das, oder irgendwas, was ich hier jetzt vergessen haben könnte, gleich zum reaktionären, leistungsverbissenen, perfektionistischen, männlichen alt-weiß-cis Heterokapitalisten?
Ach i wo. Mich nicht. Und andere auch nicht.
Ich versuche einem genügsamen, freudvollen Ansatz zu folgen. Sinnvolles zu erschaffen, Arbeit zu leisten, kann etwas wundervolles sein. Ein Musikinstrument zu bauen, welches Jahrhunderte überdauern wird, mag doch ein Beispiel sein, wo sich viele wiederfinden können. Geld verdienen zu dürfen, um sich ein Leben leisten zu können, unabhängig von der Gunst anderer, ist für mich geradezu ein Menschenrecht in unserer hochkultivierten Gesellschaft. Sich ein sicheres Heim zu schaffen, dauerhaft und behaglich. Jeder Dachs und Bär würde sich totlachen über jene, die dieses Bedürfnis von sich weisen würden. Ich habe mir vorgenommen, möglichst mit der Infrastruktur klarzukommen, wie sie bereits vorhanden ist. Vorwiegend Gegenstände zu nutzen, die Jahre oder Jahrzehnte halten. Sortenreine Materialen zu verwenden, die leicht zu recyceln sind. Und nachgiebiger mit mir selbst zu sein. Meine Lifetime-Challenge.
Unsere grundlegende Problematik entsteht aus meiner Sicht genau da, wo jemand oder manche, wesentlich mehr in Anspruch nehmen, als sie für ein sicheres, behagliches und freudvolles Leben benötigen. Wo einige wenige weit über den Bedürfnissen anderer, im Überfluss und auf Kosten vieler anderen leben.
Doch genau jetzt wird es komplex. Wer entscheidet darüber, wer, wann, wieviel zu viel hat? Wer kümmert sich wie darum, dass manche abgeben und andere erhalten? Einfach wegnehmen? Wohin wird das wohl führen? Die Eigentumswohnung wegnehmen? Den Privatjet? Das elektrische Lastenrad?
Das führt zu einem Verteilungskrieg, wie wir ihn seit Jahrhunderten erleben. Zu Hass. Zu weiterer Spaltung. Und jetzt, bitte festhalten: Ich kann mir gut vorstellen, dass die jüngeren unter uns das Finale hautnah miterleben dürfen.
Was also tun? Meines Erachtens dreht sich mehr oder minder alles um das Warum. Das Why. Wie und wann sind belanglos. Warum also, leben wir verschwenderisch, im radikalen Überfluss, rücksichtslos auf Kosten unserer Mitwelt?
Zu einem ganz großen Teil deshalb, um von uns selbst abzulenken. Um die Frage, wer bin ich, leicht beantworten zu können. Ich bin mein Job, mein Haus, meine Reisen, mein Bankkonto, meine Erlebnisse, meine Klamotten. Und das hat über die letzten Jahrhunderte enorm zugenommen. Hat in Summe zu einer Entfremdung geführt, die zuallererst eine Entfremdung von uns selbst ist. Ihr glaubt gar nicht, wie viele mir erzählen, dass sie mit sich, also mit ihrem Körper, allem was da so ist, am liebsten nichts mehr zu tun haben wollen.
Weiterhin führt es zu einer Entfremdung mit unserer Umgebung. Wir ertragen sie oftmals nur noch künstlich, digital, kultiviert, zivilisiert. Technisch und wissenschaftlich erklärbar. Evidenzbasiert, LOL.
Ein Jahr lang habe ich ein wenig versucht, eine politische Gruppierung zu mehr Engagement, mehr Zusammenarbeit zu bewegen. Tägliche, ermüdende und zähe Videokonferenzen ohne Ergebnisse und viel Gerede. Schön und gut, aber höchst unergiebig. Frustrierend. So eine Art Selbsthilfegruppe für Burnout-Betroffene, nur dass man sich lieber mit politischen Themen befasst, als mit sich selbst. Feinste Ablenkung. Ich habe dann einmal im Monat eine gemeinsame Bootsfahrt organisiert. Frische Luft, herrliches Wasser, gemeinsames Essen, tatkräftiges Planen, Diskutieren, Organisieren.... Kostenlos von mir organisiert und angeboten.
Ihr werdet es kaum glauben. Ich hatte Müh und Not Leute für ein solches Erlebnis zu begeistern. Kaum jemand hat mitgemacht. "Was denkst Du, Martin, können wir unsere Treffen nicht wieder virtuell durchführen? Dafür sind die meisten leichter zu motivieren." ... Leute. Es steht mittlerweile echt schlecht um uns. Noch viel elender, als sich die meisten von uns eingestehen wollen. Wenn Bootfahren, dann doch bitte eine Kreuzfahrt auf einer schwimmenden Stadt mit Apotheke, Kinos und Whirlpool. Wenn Natur, dann ein Marathon am Nordpol. Mit spektakulären Fotos, Rundumbetreuung und Rücktrittsversicherung. Oder gleich ins Tropical Island.
Wir dürfen uns wieder näher kommen. Unserem natürlichen Umfeld, unserer Mitwelt wieder näher kommen. Mit Fokus auf Wesentliches, anstelle überforderter Hektik. Bereichernden Begegnungen, anstatt gestellten Inszenierungen. Mit einzigartigen Erfahrungen, wo wir dachten, dass es so etwas nicht mehr gibt. (Das höre ich ständig)
Ich weiß. Dazu muss man sich zunächst ein wenig überwinden. Das Beste daran ist, je größer die Überwindung, desto doller die eintretende Zufriedenheit.
Euer Martin
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